Kommunikation: Wenn Kollegen schwierig werden

Kommunikation ist komplex. Das wissen wir spätestens seit den 80er Jahren, in denen Prof. Schulz von Thun das Sender-Empfänger-Problem neu aufgerollt hat. Seither gibt es vier Schnäbel, mit denen wir sprechen und es gibt vier Ohren, mit denen wir hören. Und nur ein Schnabel spricht über bzw. nur ein Ohr hört die Sache selbst. Oder anders formuliert: Der Anteil unserer Nachricht auf der Sachebene ist ungleich kleiner als der, der auf der „Beziehungsebene“ vermittelt wird.

Vor diesem Hintergrund dürfen Sie sich bitte nicht wundern, wenn Sie mit dem, was Sie dem Kollegen mitteilen wollen, zeitweilig völlig falsch verstanden werden. Die Sachebene bildet schließlich nur die Oberfläche des Gesagten ab. Die Dekodierung der Tiefenstruktur (Beziehungsaspekt, Selbstoffenbarungsaspekt und Appell des Gesagten) ist eine Angelegenheit, die nach Zeit und den richtigen Fragen an der richtigen Stelle verlangt. An beidem – Zeit und Fragen – mangelt es häufig in der Kommunikation am Arbeitsplatz. – Deshalb sind Missverständnisse keine Ausnahme, sondern die Regel.

Vier-Ohren-Modell

Wie kommt es, dass wir in vielen Fällen auch ohne Nachfragen richtig interpretieren, was mit dem Gesagten gewollt ist?

Kommunikation passiert nicht im zeitlosen Raum. Hier spielen Beziehungserfahrungen eine wichtige Rolle, weil sie als Boden der Interpretation des Gesagten gelten und Interpretationen nur in einem für den Gesprächspartner typischen Korridor zulassen. – So ist die Kodierung und Entkodierung von Informationen (=Sachinhalt der Aussage) abhängig von den Erfahrungen, die ich im Umgang mit der Person (oder ihr ähnlichen Personen) bereits gesammelt habe. Frei nach dem Motto: Bei diesem Menschen kann diese Aussage nur bedeuten, dass…

Auch spielen individuelle Lernerfahrungen für die Interpretation des Gesagten eine Rolle, weil es uns möglich ist, Situationen in Sekundenschnelle mit ähnlichen Situationen abzugleichen. Auch hierbei kommt es zu einer Einengung des Interpretationskorridors. Frei nach dem Motto: In dieser Situation kann eine solche Aussage nur bedeuten, dass…

Trotz dieser „Erfahrungsfilter“, behaupte ich, sind Fehlinterpretationen des Gesagten eher typisch als ausgeschlossen: Missverständnisse treten auf, wenn wir unsere Interpretationen nicht hin und wieder durch gezieltes Nachfragen einem Realitätstest unterziehen: „Habe ich Sie jetzt richtig verstanden? Sie meinen doch, dass…“

Wie kommt es, dass uns hin und wieder der Verdacht kommt, dass das Gesagte weniger der Information als vielmehr der Manipulation unserer Person gilt?

Kommunikation passiert zwischen Menschen, die sich durch ihre aktuelle Bedürfnislage voneinander unterscheiden. Kein Mensch ist frei von so genannten „impliziten Motiven“ (Begriff aus der kognitiven Verhaltenstherapie), jenen Bedürfnissen, die – oft unbewusst vorherrschend – eine Grundspannung im Leben ausmachen und deren Vernachlässigung oder Kränkung ausgleichende, manipulative Handlungsweisen nach sich ziehen. Wir alle manipulieren durch unser Sprechen (und Verhalten) unsere Mitmenschen, um eigene, aktuell frustrierte, d.h. in der Bedürfnishierarchie oben stehende Motive schnell zu befriedigen. Mancher Mensch ist sozial kompetent, besonders emphathisch und vielleicht deshalb in seinen Manipulationsversuchen erfolgreich; andere sind weniger erfolgreich und somit häufiger frustriert.

Je nach theoretischem Unterbau können eine gute Hand voll Grundmotive unterschieden werden. Nehmen wir die „impliziten Motive“ aus dem Kontext der Verhaltenstherapie, so werden unterschieden:

  1. Sicherheit, Kontrolle, Macht – Angst vor Kontrollverlust
  2. Bindungsbedürfnis – Angst vor Bindungsverlust
  3. Selbstwerterhöhung – Selbstwertschutz
  4. Lustgewinn – Unlustvermeidung

Zum Vergleich hier die Grundmotivationen (GM) aus der Existenzanalyse/Logotherapie nach Dr. A. Längle:

  1. GM: Suche nach Halt, Schutz und Raum im Leben – Ich bin, aber kann ich auf dieser Welt auch sein?
  2. GM: Suche nach (Wert-) Beziehungen – Ich bin, aber mag ich in dieser Welt auch sein?
  3. GM: Suche nach Anerkennung, Respekt der Person – Ich bin, aber finde ich in meinem So-Sein auch Anerkennung?
  4. GM: Suche nach Sinn – Ich bin, aber wozu lebe ich auf dieser Welt?

Kommunikationsbeispiel: „Ich habe selten ein so schlecht organisiertes, ja chaotisches Projekt erlebt!“, sagt der gerade neu eingestellte externe Berater zu einer erfahrenen (einen Kopf ihn überragenden!) internen Projektleiterin. Ihm mag es nicht nur um die Fakten gehen, wenn er, kaum orientiert über den bisherigen Projektverlauf, zunächst darauf dringt, seine Macht zu erweitern und seine Wichtigkeit als (teurer) externer Berater zu unterstreichen.

Erstes Fazit
Zusammenfassend lässt sich zunächst festhalten, dass das Sender-Empfänger-Problem mit seinen Verzerrungen, Tilgungen, Fehlattributierungen auf der „Beziehungsebene“ zusätzlich verursacht ist durch die Erfahrungen im Umgang mit dem Gesprächspartner (und ihr ähnlichen Personen) sowie durch die – gern unterschiedliche – Bedürfnislage („implizite Motive“, „Grundmotivationen“) der beiden Gesprächspartner.

Wie lässt sich eine so störanfällige Kommunikation eleganter gestalten? Was kann ich tun, um das Sender-Empfänger-Problem zu minimieren?

Die Anatomie gelingender Gesprächssituationen lässt sich in drei Teilabschnitten beschreiben:

  1. Zum Gesprächsbeginn geht es um ein „Einschätzen & Bewerten“ der persönlichen Ausgangssituation:
    • Ich prüfe ganz allgemein: Bin ich auf diese Anfrage vorbereitet? Sollte ich das Gespräch vertagen?
    • Wie interpretiere ich diese Anfrage? Welche Gefühle/Erinnerungen/Bewertungen weckt die Anfrage in mir? Ist meine Interpretation faktisch begründbar?

    Gesprächsbeginn

Zum Gesprächsbeginn geht es darum, auf der Eindrucksebene zu prüfen, welche Nachrichten auf der Sach-, Beziehungs-, Appell- und Selbstoffenbarungsebene bei mir ankommen und wie ich diese Nachrichten auffasse.

Ziel ist es, eine realistische und hilfreiche Interpretation des Gesagten zu wählen, die es mir erlaubt, meine Arbeitsfähigkeit zu erhalten.

2. Im Gesprächsverlauf geht es um ein „Konkretisieren & Klären“ der Anfrage(n)

  • Ich fasse das Gehörte zusammen (paraphrasieren) und erläutere meinen Standpunkt zur Anfrage.
  • Den gefundenen Standpunkt vertrete ich in Anbindung an mein Erleben (Wert- oder Bedürfnisbezug)

Gesprächsverlauf

Im Gesprächsverlauf geht es darum, auf der Ausdrucksebene die Standpunkte zu vertreten, die ich als wichtig erlebe, ohne dabei den Kontakt zum Gesprächspartner zu verlieren.

Ziel ist es, zentrale und an das eigene Werterleben gebundene Bedürfnisse zu benennen und glaubhaft zu vertreten.

3. Im Gesprächsabschluss geht es um ein „Aushandeln & Vereinbaren“ der Anfrage(n)

  • Ich handele mit dem Gesprächspartner eine beiderseitig tragfähige Lösung aus
  • Optional1: Ich suche mit dem Gesprächspartner nach erfahrbaren Erfolgskriterien, die Anzeichen dafür sein sollen, dass die Lösung gut umgesetzt wurde bzw. nachzubessern ist.
  • Optional 2: Ich fasse das Gesprächsergebnis in einer Notiz oder auch mündlich noch einmal zusammen, um das beiderseitige Verständnis zu sichern.

Gesprächsabschluss

Zum Gesprächsabschluss geht es darum, mit dem Mittel der Kompromissbildung Brücken zu schlagen zwischen den eigenen und den fremden Bedürfnissen des Gesprächspartners.

Ziel ist es, eine beiderseitig tragfähige Lösung auszuhandeln und ggfs. anhand von Erfolgskriterien deren Umsetzung nachzuhalten.

Wolfram Krug