Männer in der Krise? – Wenn Rollenkonflikte zur Zerreißprobe werden

Was beschreibt den modernen, deutschen Mann des 21. Jahrhunderts? Welche Rollenerwartungen werden an ihn gestellt? Kann er all diesen Erwartungen gerecht werden oder befindet er sich zunehmend in Rollenkonflikten, die seine Gesundheit strapazieren?

In diesem BLOG-Beitrag fasse ich einige Kerngedanken zum Geschlechterverhältnis aus dem lesenswerten Buch von Dagmar Kumbier (2015) „Sie sagt, er sagt: Kommunikationspsychologie für Partnerschaft, Familie und Beruf“ zusammen. Auf Grundlage der Kommunikationspsychologie und Geschlechterforschung werden die einleitenden Fragen kurz beantwortet und dadurch das getrübte Selbstverständnis des Mannes in einigen Bezügen erhellt.

Die Rollenverteilung, der Mann als Familienernährer, seine Frau als Familienversorgerin, schreibt Kumbier, stellt eine noch recht junge Entwicklung dar, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg vom Bürgertum ins wohlhabende Volk „gewandert ist“ und dort zum Stolz des Mannes wurde, wenn er im Kreise der Bekannten offenbarte: Meine Frau braucht nicht arbeiten zu gehen!

„Dieses Bild ist ein Mythos, welcher den Lebensbedingungen früherer Generationen nur sehr begrenzt entspricht (…) weil der Vater erst mit Beginn der Industriealisierung begann, arbeiten zu gehen.“ (Kumbier, 2015, S. 196).

Die Emazipation hat das Rollenverständnis der Frauen seither deutlich gewandelt. Heute dürfen (und müssen) Frauen fast alles: Berufstätig sein, Kinder haben (oder eben nicht), junge Lebensgefährten wählen (vielleicht nur ein Trend?) und Sport treiben (auch Fußball).

Ihre Männer hinken in der Emanzipation deutlich hinterher; sie sind weitestgehend noch im alten Rollenverständnis verhaftet: Der moderne Mann soll – wie gehabt – als Familienernährer das Haupteinkommen einbringen, indem er sich im Beruf bewährt, Leistung zeigt und Konkurrenten auf dem Karriereweg zurück lässt.
Nur in kleinen Ansätzen, häufig getrieben von den Forderungen der auch berufstätigen Frau, hat sich der moderne Mann in den letzten 20 Jahren darum bemüht, den neuen Rollenerwartungen gerecht zu werden:
Er ist versucht, neben der Berufstätigkeit zugleich für Frau und Kinder da zu sein als ein emphatischer, kommunikativer und zuhörender Partner. Er übernimmt im Haushalt kleinere Aufgaben, versucht Familien- und Beziehungsarbeit zu leisten. Er soll zugleich fit sein und gesund, mit gestähltem Körper durch die Welt laufen.
Seinen Anspruch, als Familienernährer nach Feierabend „die Füße hochlegen zu können“, musste er längst aufgeben. Achtung und Ansehen der übrigen Familienmitglieder hat er in dem Maße eingebüßt, in dem die Frauen selbst zum Familieneinkommen beitragen.

Sicher: Frauen zerreißen sich zwischen ihrer (Teilzeit-)Arbeit und der Arbeit als Familienmanagerin. Sicher aber auch: Den Mann trifft dieser Stress in zunehmendem Maße selbst. Und „Er“  ist – betrachtet man die immer noch gültigen Erziehungsmuster für Jungen – auf seine innerfamiliären Rollen denkbar schlecht vorbereitet. Empathie oder das Schauen auf das Wohl der Gruppe passen nicht zu Jungs (und späteren Männern) deren Väter vom Fußballrand geschrien haben: „Nu geh mal ran. Sei nicht so’n Weichei!“

„Damit ergibt sich für Männer nach der Geburt ihrer Kinder ein Dilemma: Einerseits orientieren sie sich am Bild eines ’neuen‘, engagierten Vaters (…). Ebenso haben sie das Ideal einer partnerschaftlichen Beziehung vor Augen (…). Andererseits stehen sie nun (als Familienernährer: WK) im Beruf unter einem ganz anderen Druck.
Das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf betrifft daher nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer.“
(Kumbier, 2015, S.229)

Der Blick auf das innerpsychische Konfliktpotential der neuen Rollenanforderungen soll abschließend anhand der kommunikationspsychologischen Erkenntnisse zum „inneren Team“ geschärft werden.
Unter dem „inneren Team“ versteht der kommunikationspsychologische Ansatz von Prof. Friedemann Schulz von Thun (1998, Bd. 3, Miteinander reden) verschiedene Persönlichkeitsanteile, wie sie sich im Laufe von Erziehung und Sozialisation im Kindes- und Jugendalter entwickeln. Die Rede ist hier beispielsweise vom „Perfektionisten“ oder vom „Selbstzweifler“. Diese Anteile konkurrieren in unterschiedlichen Situationen miteinander; sie sind verschieden stark ausgebildet und damit unterschiedlich gut geeignet für die Erfüllung spezifischer Rollenanforderungen.
In der Weiterführung dieser Ideen macht Frau Kumbier, in ihrem oben mehrfach zitierten Buch darauf aufmerksam, dass Männer und Frauen auf unterschiedlichen Gebieten ihr „Heimspiel“ bzw. ihr „Auswärtsspiel“ austragen. Sie sind damit auf ihre neu hinzugewonnenen Rollen aus der Erziehung heraus unterschiedlich gut vorbereitet:

Sein „Heimspiel“ ist das berufliche Feld. Er ist erzogen, sich im Wettstreit kämpfend zu bewähren, Konkurrenz hinter sich zu lassen und Leistung zu zeigen.
Ihr „Heimspiel“ sind die (familiären) Beziehungen. Mädchen werden für angehalten, sich in die Bedürfnisse anderer einzufühlen, gut zuzuhören und das Eigene zu Gunsten der Gruppe (Familie) zurückzustellen.

So mag „Er“ perfekt vorbereitet sein auf die Anforderungen der Berufswelt und zu Hause Schwierigkeiten bekommen mit der „Mutterrolle“.Während „Sie“ geschickt ist im Managen familiärer Belange aber u.U. Probleme hat, sich in einer von Männern dominierten Berufswelt durchzusetzen.

Abbildung aus: Kumbier, Dagmar (2015): "Sie sagt, er sagt...", S. 65
„Das innere Team beim Mann“, aus: Kumbier, Dagmar (2015): „Sie sagt, er sagt…“, S. 65

Haben Frauen, dank ihrer emanzipatorischen Bemühungen und Erfolge, in den letzten 50 Jahren dazu gelernt, was es heißt, sich in der Berufswelt zu behaupten, so haben Männer in umgekehrter Weise einen erheblichen Nachholbedarf, wollen sie sich bewegen in ihren Rollen als „neue“ Väter und „neue“ Partner.

Die in den kommunikationsintensiven „neuen Rollen“ geforderten Fähigkeiten wenden Männer nicht nur unzureichend an in ihrer „Kommunikation nach außen“. Vielmehr fehlt es ihnen zugleich an Fähigkeiten in ihrer „Kommunikation nach innen“:
Es mangelt dem modernen Mann an Achtsamkeit für körperliche Prozesse, die anzeigen, ob er noch gesund oder schon krank sind. Männer sind bekannt als „Gesundheitsmuffel“, weil sie von Kindheit an beigebracht bekommen „Indianer kennen keinen Schmerz“.

Männer wollen stark sein und funktionieren:
Wenn sie hierbei zu wenig ermutigt werden, auf ihre Gesundheit zu achten, so stellt das ein riskantes Verhalten dar, das sich in den Ergebnissen der Männergesundheitsberichte u.a. in einer geringeren Lebenserwartung spiegelt (vgl.www.mann-und-gesundheit.com).

Mit diesem Beitrag zur Männergesundheit möchte ich dazu aufrufen, auch im betrieblichen Setting, da, wo sich MANN am häufigsten aufhält, Gesundheitsförderungsangebote zu schaffen, die den besonderen Bedürfnissen, Begabungen und Schwächen des „starken Geschlechts“ in ihrer Herangehensweise und inhaltlichen Gestaltung gerecht werden.

Wolfram Krug